
Mehr als 80 % aller Räume in Schulen werden über Fenster natürlich belüftet. Natürliches Lüften ist doch nichts anders als „Fenster auf“ und fertig. Ist doch naiv das zu glauben. Was, wenn man gefragt wird, was strömungsphysikalisch beim natürlichen Lüften passiert, wie sich Aerosole im Raum bewegen und warum Temperatur und Druck dabei Unterschiede ausmachen. Darüber noch keine Gedanken gemacht? Warum auch. Einfache Erklärungen? Wer es probiert, erkennt schnell seine Grenzen im Denken. Vielleicht stimmt dann der bisherige Zugang zum natürlichen Lüften auch nicht. Ist er falsch und es braucht ein Umdenken im Kopf?
Begib dich mit uns auf eine interessante Reise, lerne mit uns die Fakten und Mythen des natürlichen Lüftens kennen. Aber damit wir das alles kognitiv verarbeiten können, braucht es zunächst frische Luft, denn damit denkt es sich am leichtesten, das ist wissenschaftlich geklärt. In dieser Serie werden Wissenschaftler und IGÖ-Luftbotschafter zu Wort kommen, die uns erklären wie Lüften geht.
Gestartet wird im Teil I mit den Anforderungen ans natürliche Lüften und mit Tipps wie wir diese umsetzen können. Als Autor bediene ich mich dabei des Leitfadens zum Gebrauch von CO2-Sensoren zur Verbesserung von Luftqualität und Infektionsschutz in Innenräumen der Future Operations Platform.
Was muss natürliches Lüften können?
Bereitstellung der hygienisch erforderlichen Frischluftzufuhr: Grundsätzlich sollte der CO₂-Wert in Innenräumen nicht höher sein als 1000 ppm CO₂. Der Wert der frischen Außenluft beträgt etwa 420 ppm CO₂. Je höher der Wert, desto mehr ausgeamtete, verbrauchte Luft hat sich im Raum bereits angereichert.
Die Behaglichkeit muss soweit möglich aufrechterhalten werden. Die Lufttemperatur darf bei leichter Tätigkeit im Sitzen nicht unter 19 °C bzw. sollte sie eher bei angenehmen 20 °C liegen und die Luftgeschwindigkeit nicht über 0,1 m/s. Alles andere wird als unbehaglich empfunden.
Die Lärmbelastung durch offene Fenster soll minimal sein. Im Allgemeinen ist gute Sprachverständlichkeit gegeben, wenn dauerhafte Hintergrundgeräusche in der Raummitte unter 40 dB(A) bleiben.
Der Heizwärmebedarf soll durch bedarfsangepasstes CO₂ gesteuertes natürliches Lüften während der Belegung der Unterrichtsräume minimiert werden. Die beim Lüften kalte einströmende Luft (= Kältelast) muss durchs Heizen (= Heizlast) ausgeglichen werden.
Wie erreicht man all das durch natürliches Lüften?
Auch wenn die Nutzer von Klassenräumen wenig Einfluss auf die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten zur Lüftung haben, sollten sie die Punkte 1 und 2 jedenfalls ausprobieren:
1. Dauerlüften durch Fensterkippen von belegten Klassenräumen ist prinzipiell die hygienisch, energetisch, nachhaltig und behaglich effektivste Methode: Der Frischluftdurchsatz hängt allerdings sehr stark von Außentemperatur, Druckgradient, Wind und Fensteröffnungsfläche ab. Die Vorzüge von Dauerlüftung sind hohe Luftqualität (< 1000 ppm CO₂) bei höchstmöglicher Behaglichkeit, geringstem Aufwand und geringstem Heizenergieverbrauch, weil die Abwärme der sich im Raum befindlichen Personen – als Mikroheizkörper – bestmöglich genutzt wird. Das ist aber nur durch kontinuierliches CO₂-Monitoring möglich. Also kein schlechtes Gewissen bei gekippten Fenstern!
Durch Stoßlüften nach der 20/5-Regel gelingt es im Allgemeinen nicht, die Luftqualität unter 1000 ppm CO₂ zu halten. Das sollte also nur im Notfall (extreme Kälte, hoher Außenlärmpegel, kein CO₂-Monitor vorhanden) oder ergänzend zum Dauerlüften gemacht werden. Stoßlüften führt nämlich zu einem Unbehaglichkeitsempfinden, weil weder Temperatur-, Temperaturänderungs– noch Zugluftgrenzwerte eingehalten werden können. Da die mittlere Raumtemperatur bei dieser Methode sehr stark schwankt wird die Akzeptanz für diese Methode nicht gegeben sein.
2. Nutze CO₂-Sensoren; sie zeigen an, wie viele Fenster dauerhaft gekippt sein sollen. Jeder Raum verhält sich anders. Bei voller Belegung sollten meistens alle Fenster gekippt sein. Die bei den benötigten CO₂-Sensoren Warnbereiche sollten wie folgt eingestellt werden: < 800 ppm = grün; 800 - 1000 ppm = gelb; > 1000 ppm = rot. Die CO₂-Sensoren sollen zweckmäßig dem/der Lehrenden zugeordnet sein, der/die die Kalibration dann bequem zu Hause an der Außenluft durchführen kann. Ich beispielsweise nutze dafür einen Aranet4-Sensor. Die Kalibration ist sehr einfach, komfortabel via APP möglich.
Bei optimaler Lüftungsdisziplin (Fenster nur offen, wenn der Raum belegt ist) lässt sich der lüftungsbedingte Heizwärmeverbrauch drücken. Mir wurden hier Zahlen von unter 1000 kWh pro Klassenraum genannt. Ohne CO₂-Monitor oder mit blindem Stoßlüften fällt der Verlust bis zu 4-mal höher aus.
Lüftungsbedingter Heizwärmebedarf liegt in etwa bei 85kWh/(p a). Gewinne durch Abwärme ~ 60kWh/(p a). Für einen Klassenraum mit 25 Personen (p) ergeben sich also bei bedarfsangepasster Lüftung, im besten Fall mit CO2-geführte Lüftung von << 1000kWh/a, i.e. 10-15kWh/(m² a).
— Hannes Grünbichler (@HGrunbichler) November 26, 2022
Und Klassenräume, die durch Dauerlüften nicht hinreichend belüftet werden können, können mit Stoßlüften auch nicht besser belüftet werden. Hier braucht es zusätzlich Abluftventilation. Nur ohne CO₂-Messung kann man das nicht herausfinden.
Lüften mit Sachverstand ist Dauerlüften mit gekippten Fenstern in Räumen mit hoher Belegungsdichte und dabei CO₂ messen. Beim energieeffizienten natürlichen Lüften schlägt Sachverstand den Hausverstand. Klar ist aber auch, gelüftet wird mit Fenstern, nicht mit CO₂-Monitoren, und dazu muss man verstehen, wie sie funktionieren. Mehr dazu im nächsten Kreidekreis.
Hannes Grünbichler ist als Autor nicht nur selbst gerne Lehrer, sondern auch Ziviltechniker und Gerichtssachverständiger.
[…] durch 2200 ppm‑CO2/h/(1000 – 420) ppm‑CO2 = 3.8/h eingehalten werdenm, mehr dazu im Teil I. In der Praxis werden die Werte wegen der Quelllufteffekte beim Dauerlüften – […]