Sind Schulen so sicher, wie es Bundesminister Faßmann, sein Generalsekretär Netzer und Gesundheitsminister Anschober uns
das weiszumachen versuchen?
von Hannes Grünbichler
Die ÖLI-UG hat hierzu bereits zahlreiche Stellungnahmen verfasst und den werten Herren übermittelt. Eine Zusammenfassung findet man in der digitalen
Sonderausgabe des Kreidekreises Nr. 7/2020 unter
http://archiv.oeli-ug.at/krkr2007.pdf.
Da sich die Berichterstattung in der österreichischen Zeitungslandschaft kaum von der offiziellen Sichtweise unterscheidet, haben wir uns umgesehen, was in anderen
Ländern zum Thema Corona an Schulen berichtet wird. Wir sind fündig geworden und möchten an dieser Stelle einen Artikel des deutschen Bildungsmagazins News4Teachers mit freundlicher Genehmigung des Autors abdrucken.
Hintergrund: Die Situation an den österreichischen und deutschen Schulen unterscheidet sich mittlerweile kaum mehr
voneinander. Da wie dort ist mit 2. Jänner die 7‑Tage-Inzidenz ähnlich hoch (da knapp 160 und dort knapp 140 Fälle pro 100.000 Einwohner*innen) und gibt es zumindest bis Mitte Jänner einen harten
Lockdown. Bis vor Weihnachten betrugen die offiziellen CoVid-19 Zahlen an Österreichs Schulen mehr als das 4‑Fache der Inzidenz Deutschlands. Da wie dort hieß es, Schulen seien sichere
Orte.
Dort in Deutschland wird die Kritik an diesem Narrativ heftiger, weil sich zeigt, dass
einerseits Lehrkräfte häufiger infiziert sind und anderseits die Bildungsminister, die in Deutschland Kultusminister genannt werden, in ihren Aussagen zum Infektionsgeschehen an Schulen nicht
einmal vor offensichtlichen Unwahrheiten zurückschrecken. In Österreich hält man am politischen Narrativ der Schulen als sichere Orte zurzeit noch fest.
Hier der Artikel von Andrej Priboschek, der mit dessen Veröffentlichungen den ‚Stein‘ so richtig ins Rollen brachte, und einmal in Bewegung
lässt er sich nicht so leicht wieder stoppen …
„Kinder sind stärker
betroffen“: Bildungsministerium veröffentlicht Kritik aus der Wissenschaft an seiner Corona-Politik – unfreiwillig
von Andrej Priboschek, News4Teachers am 29.
Dezember 2020
Erstmals in der Corona-Krise hat ein Kultusministerium in
einer Pressemitteilung Kritik am Kurs der weit offenen Schulen zugelassen – allerdings nicht freiwillig. Nachdem in einer ersten Veröffentlichung des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums zu
einer Expertenanhörung Zitate frei erfunden worden waren, hatte es massiven Ärger gegeben. Die Erklärung musste zurückgezogen werden. Jetzt ist eine neue erschienen – mit nunmehr abgestimmten
Stellungnahmen. „Wir sehen, dass es auch in Schulen zu Übertragungen, zu Superspreader-Events kommen kann“, betont darin Dr. Jana Schroeder, Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und
Mikrobiologie der Stiftung Mathias-Spital in Rheine.
In der ursprünglichen Pressemitteilung des
rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums, herausgegeben unmittelbar nach der Expertenanhörung am 7. Dezember, hieß es: „Am Montagabend hatte das Bildungsministerium gemeinsam mit dem
Landeselternbeirat zu einer Expertenanhörung geladen. Im Anschluss an die Veranstaltung erklärte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig: ‚Die Expertenanhörung hat noch
einmal verdeutlicht, welchen Stellenwert die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen genießt und genießen muss. Schulen sind keine Treiber der Pandemie – das Tragen der Maske sowie die Einhaltung
der Hygiene- und Lüftungsregeln sind und bleiben zentral – hier war sich die Mehrheit der Expertinnen und Experten sehr einig.‘ “
Als Beleg wurde unter anderem der Direktor des Instituts für
Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, Prof. Alexander S. Kekulé, zitiert. „Auch Herr Professor Kekulé wies darauf hin, dass die in Schule geltenden Schutzmaßnahmen Wirkung
zeigen und ein Wechselbetrieb insbesondere ab den oberen Klassenstufen in Betracht zu ziehen ist. Übertragungen, so Kekulé, fänden bei Jugendlichen eher im privaten als im schulischen Kontext
statt, wo es Hygienemaßnahmen gäbe.“ Kekulé hatte sich allerdings nur Tage zuvor ganz anders geäußert – wie
News4teachers berichtete. An weiterführenden Schulen gebe es schwerste Ausbrüche. Jugendliche Schüler seien „ganz starke Treiber der Pandemie. Das ist ohne Wenn und Aber erwiesen“, so
erklärte er in einem Interview mit dem Sender Phoenix. Und tatsächlich schrieb er dann an das Bildungsministerium: „Die beiden
Sätze sind nicht von mir. Bitte nur zitieren, was ich tatsächlich gesagt habe.“
Auch andere Experten forderten, die ihnen zugeschriebenen Statements zurückzuziehen.
Eine Erklärung aus dem Bildungsministerium zu dem Treffen sei „mehr oder weniger reine Propaganda statt ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung mit dieser Problematik“, befand etwa der
Leipziger Epidemiologe Prof. Markus Scholz. Der Fall, den
News4teachers bundesweit öffentlich machte, schlug Wellen – Hubig musste sich im Mainzer Landtag entschuldigen. Und nun hat ihre Pressestelle eine neue Pressemitteilung zu der Veranstaltung
herausgegeben, in der erstmals mit der Absenderadresse eines deutschen Kultusministeriums überaus kritische Töne zur Politik der weit offenen Schulen zu lesen sind.
Warum die RKI-Empfehlungen für Schulen nicht gelten sollen, „erschließt sich mir
nicht“
Dr. med. Jana Schroeder, Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und
Mikrobiologie der Stiftung Mathias-Spital in Rheine, erklärt darin: „In der Zusammenschau und Bewertung aller vorliegenden Daten zur Infektiosität von Kindern kann man nicht schließen, dass diese
keine Rolle im Infektionsgeschehen haben. In der Pandemie gibt es führende Wissenschaftliche Institutionen, die unter anderem genau für den Fall einer Pandemie eingerichtet wurden, um
Empfehlungen und Vorgaben zu Verhalten zu erarbeiten. Die Krankenhäuser vertrauen auf diese und stehen in der Pflicht, die Vorgaben des RKI umzusetzen – warum dies nicht für die restliche
Bevölkerung, bzw. für andere Institutionen gelten soll, erschließt sich mir nicht. Wir sehen, dass die Anzahl der Neuinfektionen trotz veränderter Teststrategie und dem aktuellen ‚Lockdown‘ nicht
adäquat sinken und wir sehen auch, dass es auch in Schulen zu Übertragungen, zu Superspreader-Events kommen kann. Selbst wenn das Infektionsgeschehen an Grundschulen geringer sein sollte als in
der Restbevölkerung, kann auch dies keine Argumentation für weniger Schutzmaßnahmen sein – die Anschnallpflicht gilt auch schon bei Tempo 30 und nicht erst bei 100 km/h.“
Hintergrund: Das RKI empfiehlt für die Schulen ab einem Inzidenzwert von 50, Wechselunterricht mit kleinen Lerngruppen vorzusehen, damit die Abstandsregel gelten
kann, sowie eine generelle Maskenpflicht im Unterricht. Das Bildungsministerium von Rheinland-Pfalz beachtet (wie alle anderen Kultusministerien in Deutschland) diese Empfehlung
nicht.
Prof. Markus Scholz vom Institut für Medizinische Informatik,
Statistik und Epidemiologie an der Universität Leipzig, stellt nun klar: „Im Vergleich zur ersten Welle im Frühjahr sehen
wir in der zweiten einen deutlichen, qualitativen Unterschied nämlich, dass die Altersgruppe 0-15 jetzt wesentlich stärker betroffen ist. Auch unter Berücksichtigung geänderter
Teststrategien lässt dies auf ein verstärktes Infektionsgeschehen im Schul- bzw. Kitakontext schließen. Es wurden zudem bereits Hunderte von Ausbrüchen an Schulen gemeldet, teilweise auch mit
beträchtlichen Clustergrößen. Es ist zu befürchten, dass wir dabei nur die Spitze des Eisbergs sehen, da Gruppen nicht mehr überall konsequent getestet werden – selbst bei Kategorie 1 Kontakten.
Wenn zum Beispiel in Klassen mit einem Indexfall nur quarantänisiert aber nicht weiter getestet wird, erscheint dies in den Statistiken dann fälschlicherweise als ‚Beleg‘ für eine
Nichtübertragung innerhalb der Klasse. Dies führt zu einer Verzerrung der Datenlage mit möglichen Fehleinschätzungen der tatsächlichen Problematik.“
Landesgesundheitsamt behauptet: Kinder stecken sich allermeistens in den Familien
an – nicht in Kita oder Schule
Auch das Landesuntersuchungsamt kommt in der neuen Pressemitteilung zu Wort – mit der
auch vom Ministerium vertretenen These, dass die Ansteckungsgefahr in Kitas und Schulen vergleichsweise gering sei. Dies zeige die Studie „Secondary Attack Rate in Schools Surveillance“ der
Gesundheitsämter in Rheinland-Pfalz. „Vergleicht man die Übertragungssituation für die Kinder zu Hause mit der in der Schule oder
Kita zeigt die Erfahrung von 232 Fällen und 8.371 Kontaktpersonen, dass sich trotz beengter Verhältnisse in den Klassenräumen bei Auftreten eines COVID-Falles nur eines von hundert Kindern im
direkten Umfeld ansteckt. Innerhalb der Familie ist eine Übertragung zwanzigmal wahrscheinlicher und betrifft jedes fünfte bis sechste Familienmitglied“, meint Amtsleiter Prof. Philipp Zanger.
Scholz hält dem allerdings entgegen: „Es ist zu befürchten, dass wir dabei nur die Spitze des Eisbergs sehen, da Gruppen nicht mehr überall konsequent getestet werden – selbst bei
Kategorie 1 Kontakten. Wenn zum Beispiel in Klassen mit einem Indexfall nur quarantänisiert aber nicht weiter getestet wird, erscheint dies in den Statistiken dann fälschlicherweise als ‚Beleg‘
für eine Nichtübertragung innerhalb der Klasse. Dies führt zu einer Verzerrung der Datenlage mit möglichen Fehleinschätzungen der tatsächlichen Problematik.“ Aktuell, so der Epidemiologe, lägen in Deutschland nur einige wenige wissenschaftliche Studien zum Infektionsgeschehen an Schulen vor – und die
beruhten vor allem auf Daten der Niedriginzidenzphase. Sie ließen sich nicht einfach auf die aktuelle Situation verallgemeinern.
Scholz: „Wir
brauchen deshalb dringend Studien, die das Infektionsgeschehen in Schulen und Kitas besser überwachen. Bei Indexfällen sollte die Kontaktgruppe stets konsequent getestet und die Ergebnisse für
wissenschaftliche Auswertungen zugänglich gemacht werden, um das Geschehen besser einschätzen und die Wirksamkeit von Maßnahmen überprüfen zu können.“ Hubig spricht von einem „Fehler“ – ohne darauf einzugehen, dass dahinter offensichtlich Vorsatz steckt
Die Pressestelle und die Ministerin bemühen sich derweil, die falschen Zitate als
einfache Panne erscheinen zu lassen. Hubig sprach im Landtag von einem „Fehler“ – ohne darauf einzugehen, dass sie auch als KMK-Präsidentin eine verzerrende Pressemitteilung über eine
Expertenanhörung im September zu verantworten hat, wie Recherchen von News4teachers ergaben.
„Um die Öffentlichkeit schnell zu informieren“ sei die ursprüngliche Pressemeldung zur Expertenrunde am 7. Dezember herausgegeben worden, so heißt es nun seitens der Pressestelle.
„Diese stellte jedoch nicht die gesamte zweistündige Diskussion dar, sondern war auf die aus Sicht des Bildungsministeriums zentralen
Ergebnisse fokussiert und hat nicht die Breite der Meinungen wiedergegeben.“ Darauf, dass es ein übliches Verfahren ist, Zitate
in Pressemitteilungen abzustimmen, geht sie nicht ein. Auch wird nicht eingeräumt, dass Statements frei erfunden worden waren. Stattdessen heißt es: „Die Pressestelle hat sich umgehend bei der Expertin und den Experten entschuldigt, soweit sich Sachverständige falsch zitiert gesehen haben, und
dies korrigiert.“ Im Fall von Kekulé stimmt auch das nicht: Er taucht in der neuen Pressemitteilung überhaupt nicht mehr
auf.
Auch der Beschluss des Bund-Länder-Gipfels vom 25. November 2020, den Schulbetrieb –
entgegen dem ursprünglichen Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin – ohne Einschränkungen weiter laufen zu lassen, weil Schulen sichere Orte sind, ist offenbar auf der Grundlage bewusst
unvollständiger, womöglich sogar gefälschter Informationen getroffen worden. Dies legen Aussagen eines Ministerpräsidenten in der Sendung „Markus Lanz“ vom 26. November nahe, in denen als eine
wesentliche Grundlage des Beschlusses, Schulen wie bisher weiterzuführen, eine nur wenige Tage zuvor veranstaltete Pressekonferenz von Hamburgs Bildungssenator angeführt wird. Mittlerweile ist
bekannt, dass er eine „Superspreader-Studie“, die die Infektionsgefahr in Schulen belegt, verschwiegen und die Lage geschönt hat.
Ein Schelm ist, wer denkt, dass in Österreich die Datenlage besser und der Informationsfluss
transparenter ist. Wie Entscheidungen getroffen werden, ist in vielen Fällen nicht nachvollziehbar und auch bei uns durchlaufen Informationen zu Corona an Schulen viele Filter. Ein wesentliches
Kriterium eines Filters ist eben, gut zu filtern.
Bildungsminister Faßmann soll endlich eingestehen, dass Schulen nicht so sichere Orte
sind, wie bisher gedacht und mehr auf Experten, wie dem Mikrobiologen Michael Wagner, vertrauen, wenn dieser meint, dass gerade die Kombination aus geringem Abstand, höherer
Lautstärke (größerer Aerosol-Ausstoß) und möglichen laxeren Umgang mit den Hygieneregeln unter Kindern zumindest für eine gleich hohe Ansteckung wie bei Erwachsenen sorgt.
Und, dass nicht nur Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen gefährdet sind, lassen neue Studienergebnisse vermuten: Sie weisen auf die stille Gefahr von Long-CoVid und auf mögliche Spätfolgen bei Kindern und Jugendlichen hin, selbst bei einer sehr milden
Verlaufsform einer CoVid-19 Erkrankung. Diverse von betroffenen Eltern gegründete Selbsthilfegruppen für Long-CoVid bei Kindern, wie z.B. in Schweden, zeigen, dass sich Spätfolgen bei Kindern
und Jugendlichen häufen und jetzt erst sichtbar bzw. erlebbar werden (https://medonline.at/10067040/).
In Deutschland fordern aus diesem Grund neben Medizinern auch Wirtschaftsexperten bereits am Tag eins nach Neujahr eine Verlängerung der harten
Corona-Beschränkungen – auch wenn es unter den Vorsichtigen durchaus Stimmen gibt, die begrenzte Lockerungen für möglich halten: So sei die Wiederöffnung von Kindergärten und Volksschulen
denkbar. Voraussetzung dafür sei, dass alle anderen Klassenstufen geteilt würden und wechselnd Präsenz- und Fernunterricht erhalten, oder der Präsenzunterricht ganz ausgesetzt bleibt.
Eine generelle Öffnung der Schulen lehnen selbst die Mutigen unter den Vorsichtigen ab, weil es doch wissenschaftlich erwiesen sei, dass
Kinder ab zwölf Jahren genauso ansteckend seien wie Erwachsene und die neue Mutante des Virus mit dem bezeichnenden Namen „Variant of Concern“ (VOC) schließlich viel ansteckender ist (siehe
Preprint Seite 8, Abb. B auf https://www.imperial.ac.uk/media/imperial-college/medicine/mrc-gida/2020-12-31-COVID19-Report-42-Preprint-VOC.pdf).
Welcher Weg da in Österreich in puncto Schulöffnung eingeschlagen wird, bleibt abzuwarten. Wegmarkierungen wurden bereits vor Weihnachten aufgestellt,
die Richtung scheint vorgegeben. Die ÖLI-UG hofft natürlich, dass sich Faßmann an der wissenschaftlichen Faktenlage orientiert. Hierzu muss er sich darauf besinnen, nicht nur Bundesminister für
Bildung zu sein, sondern auch für Wissenschaft und Forschung.
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