416 Seiten
Aus dem Engl. von Sophie Zeitz
Geb. € 24,-, e-Book € 18,99
Atlantik Verlag 2023
ISBN: 978-3-455-01578-2

Abb.: https://hoffmann-und-campe.de/products/63894-wo-alles-beginnt

Ich lese das Interview mit der Hebamme und Buchautorin Leah Hazard. Pia Kruckenhauser leitet es so ein: „“Hysterie“, „feindlicher Uterus“, „das schwache Geschlecht“ – jahrhundertelang war der medizinische Blick auf den Frauenkörper von Mythen, Dämonisierung und Herabsetzung geprägt. Sexismus beeinflusst die Forschung bis heute. Das führt unter anderem dazu, dass viele Menschen ein sehr rudimentäres Wissen über die Gebärmutter haben.“
Hazard erklärt das Besondere der Gebärmutter: „In erster Linie ist sie ein Muskelorgan, das stimmt. Aber dieser Muskel kann Dinge, die kein anderer Muskel im menschlichen Körper beherrscht. Er kann sich zum Beispiel auf ein vielfaches seiner eigentlichen Größe, die etwa einer Birne entspricht, ausweiten. Er kann ein komplettes anderes Organ in sich entstehen lassen, die Plazenta, und diese wieder loswerden, wenn sie nicht gebraucht wird. Er schafft ein sicheres Umfeld für einen Fötus. Und er hat eine weitere, ganz besondere Fähigkeit, die kein anderes Organ besitzt: Er kann sich selbst heilen. Während der Menstruation kreiert der Körper eine Verletzung, durch die die Schleimhaut abgeht. Jeden Monat heilt diese Wunde wieder, ohne dabei eine Narbe zu hinterlassen. Das ist wirklich ziemlich beeindruckend.“
Ihr Buch bezeichnet sie als feministisch in dem Sinn: „Ich habe den Eindruck, viele Menschen denken, ein feministisches Buch richtet sich gegen Männer oder hat eine ganz klar proweibliche Agenda. Aber die Definition von Feminismus ist einfach, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und dass die Gesellschaft beide Geschlechter gleich behandeln sollte. Mit meinem Buch will ich klarmachen, dass der Uterus die gleiche Aufmerksamkeit, den gleichen Respekt und genauso viel wissenschaftliche Erforschung verdient wie jedes andere Organ des Körpers.“
https://www.derstandard.at/story/3000000111418/gebaermutter-gesellschaft-gesundheit

 

Wo alles beginnt ist in 16 Kapitel strukturiert. Inhaltich umfasst es: Die Gebärmutter / Periode / Empfängnis / Schwangerschaft / Kontraktionen / Wehen / Verlust / Kaiserschnitt / Postpartum / Gesundheit / Menopause / Hysterektomie / Reprozid / Zukunft / Epilog. Das Glossar sowie die Anmerkungen erleichtern den Zugang zum Thema und vervollständigen ihren Text.
Die Autorin beginnt das Buch mit dem Moment, als sie sich entschied, ein Buch über die Gebärmutter zu schreiben. Es folgen interessante, berührende, unterhaltsame und erschütternde Informationen und Berichte, die Hazard aus ihren Gesprächen, die sie weltweit mit Frauen und Expert:innen führte, in sich stimmig zusammenfügt.
Leah Hazard endet mit der Einladung, sich auf die Suche nach Erkenntnis zu machen, denn jede:r ist aus einer Gebärmutter in die Welt gekommen: „Hinterfragen und feiern Sie Ihre Erfahrungen.“

Das Buch ist gut zu lesen, was wohl auch darauf beruht, dass die Autorin früher als Journalistin arbeitete. Leah Hazard studierte in Harvard und lebt nun als Hebamme in Schottland. Ihr Podcast What the Midwife Said https://podcasts.apple.com/gb/podcast/what-the-midwife-said/id1537763762 ist hörenswert wie auch ihre Memoiren Hard Pushed: A Midwife’s Story lesenswert sind.

Die Gebärmutter steht für Frauen. Frauen, so das aktuelle Studienergebnis der UNDP, das sich auf Datensätze aus den Jahren 2010 bis 2014 und 2017 bis 2022 aus Ländern und Gebieten, die 85 Prozent der Weltbevölkerung abdecken stützt, besagt: „Neun von zehn Menschen haben Vorurteile gegenüber Frauen.“  
Vorurteile verursachen, dass Frauen gehindert werden, in Politik, Wirtschaft und Beruf eine bedeutende Rolle einzunehmen, dass ihre Rechte beschnitten werden und dass es zu so vielen Menschenrechtsverletzungen kommt. Dass Frauen dreimal so viel unbezahlte Pflege- und Hausarbeit wie Männer auf der ganzen Welt übernehmen, ist ein weiterer Aspekt, dass Frauen nicht als gleichberechtigt gesehen werden. https://news.orf.at/#/stories/3319979/

 

Gegenwärtig gibt es laut Amazon über 7000 Bücher zum Thema „Menstruation“, zur „Gebärmutter“ immer noch 572 Titel. Das Buch Wo alles beginntDie ungeahnte Power der Gebärmutter bietet Leser:innen viel Gesprächsstoff und Impulse, eigene Erfahrungen mit anderen auszutauschen und zu diskutieren, weil das Thema „Gebärmutter“ nicht nur ein sehr persönliches, sondern immer noch ein hochpolitisches ist.
Das Buch ist aus meiner Sicht eine ausgezeichnete Grundlage und Motivation für Biologie- und Geschichtslehrer:innen, Schüler:innen differenziertes Wissen über die Gebärmutter auch im Zusammenhang mit Gesellschaftspolitik zu vermitteln.
Leah Hazarts Buch ist ebenso ein spannendes Buch für Eltern.
Eigentlich ist es für jede:n. Leah Hazard Buchwidmung lautet entsprechend: Für alle

Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at