224 Seiten
dtv 2023
€ 24,50
ISBN: 978-3-423-28372-4

Der Titel ZUKUNFT spiegelt das Thema der Zeit wider, das in Aktionen der Gruppen wie Letzte Generation und Fridays for Future zum Ausdruck kommt und auch sonst viele Menschen jeden Alters aus unterschiedlichen Gründen beschäftigt.

Der Inhalt ist gut strukturiert mit folgender Einteilung, wobei jedem Kapitel ein gutes Zitat vorangestellt ist.
Einleitung Vor der Erstbenutzung
Kapitel I Technische Daten: Was ist die Zukunft?
Hauptmerkmale / Verwendungszweck: Wofür ist die Zukunft da? / Typologien: Vier Arten von Zukunft / Ursprung: Die Geschichte der Zukunft
Kapitel II Bedienelemente und Geräteteile: Woraus besteht die Zukunft?
Der Einschaltknopf / Die Gegenwart / Die Vergangenheit / Das Neue
Kapitel III Inbetriebnahme: So funktioniert Zukunft
Mit ziemlicher Sicherheit: Was wir wissen / Mit der Gefahr leben / Sich das Beste vorstellen / Überraschung!
Kapitel IV Sicherheits- und Warnhinweise
Katastrophendenken / Wunschdenken / Die Illusion der Gewissheit  / Die gefälschte Zukunft
Kapitel V Störungsbehebung
Abgelaufenes Gültigkeitsdatum / Die unsichtbare Zukunft / Die schlechte Zukunft / Die uninspirierte Zukunft
Schluss Garantie auf Zukunft. Dann folgen ein Namens- und Sachregister sowie 293 Anmerkungen.

Der Stil von Florence Gaub lässt sich als verständlich und einfach beschreiben. Die Autorin ist am NATO Defense College in Rom Direktorin des Forschungsbereichs als Politikwissenschaftlerin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin. Ihr gelingt es, wirklich viele Menschen mit ihrer klaren und direkten Sprache zu erreichen.
Sie verwendet ein WIR: „Fakt ist nämlich, dass wir eben nicht in einer so noch nie dagewesenen beängstigenden und unvorhersehbaren Welt leben, auch wenn man das überall hört. Wir leben in einer sehr privilegierten Zeit, in der man mit der Garantie auf ein hohes Alter zur Welt kommt und sehr große Gestaltungsfreiheit hat, sein Leben so zu leben, wie man es will.“ (S. 25) Damit ist klar, dass sie die Perspektive der westlichen Welt einnimmt.
Kritisch zu vermerken ist, dass sie keine gendergerechte Sprache verwendet, da sie von „Bürgern, Stadtbewohnern“ u.a.m. schreibt.
Positiv sind die eingefügten Tabellen und Grafiken, denn sie veranschaulichen das Konzept (Zukunftshorizonte nach Roman Krznaric adaptiert, Vier Arten der Zukunft, Erste Methoden der Zukunftsvorausschau, Stufen der (Un-)Gewissheit, Ungewissheitvermeidungsindex, Einführung des Gregorianischen Kalenders). Ein Selbsttest (Wie zukunftsvergesslich bin ich?) hilft zu reflektieren. Auch eine konkrete Anleitung für den Alltag wird angeboten (Zehn Schritte zum richtigen Umgang mit einer negativen Zukunft).

Das Thema ZUKUNFT lotet Florence Gaub vielschichtig mit vielen Perspektiven und Vernetzungsaspekten aus, denn sie meint: „Alle Zukünfte sind miteinander verbunden, ja stecken ineinander wie Legosteine. Die tägliche Zukunft ist eingebettet in die persönliche Zukunft, die wiederum Teil der Zukunft dieser Epoche ist, die wiederum Teil der Zukunft des Planeten ist.“ (S. 9)
Ich greife ein paar ihrer Gedanken, die sie stringent aneinanderreiht, an dieser Stelle exemplarisch heraus. Gesellschaftspolitisch wichtig ist, immer Sicherheits- und Warn-Mechanismen mitzudenken: „Diese vier Mechanismen sind das Katastrophen- und das Wunschdenken, die Illusion der Gewissheit und das, was man gefälschte Zukunft nennt: eine Zukunft, die in Wirklichkeit keine ist.“ (S. 129)
An anderer Stelle schreibt sie: „Ganz wie Lebensmittel ein Verfallsdatum haben, so können auch Zukünfte »ablaufen«, nämlich dann, wenn sie nicht mehr nützlich, machbar oder wünschenswert sind. Das ist völlig normal, aber doch manchmal unangenehm, und es kann auf verschiedene Arten passieren.“ (S. 158)
Ob sie Recht hat, wenn sie schreibt: „Sobald dieser Zweck sich erledigt hat, entrümpelt der Geist alte Zukünfte automatisch.“ (S. 158), lässt sich gut in Diskussionen ergründen.

Den Bezug zur Schule stellt sie so her: „Aber bisher sind die meisten westlichen Gesellschaften eher vergangenheits- als zukunftsorientiert, das allein macht es schon schwer. Nicht Zukunftsvorausschau ist Pflichtfach in der Schule, sondern Geschichte, und Latein wird mehr unterrichtet als Weltraumforschung. Auch an den Universitäten sieht es nicht besser aus. Es wird grundsätzlich mehr Können gelehrt als Denken, und das Denken, das gelehrt wird, ist konvergent (wo mit Logik nach nur einer richtigen Antwort gesucht wird) und nicht divergent (wo mit Vorstellungskraft nach so vielen Lösungen wie möglich gesucht wird). Fächer wie Kunst, Literatur, Philosophie oder Nichtstun (von Schülern häufig praktiziert, ist aber kein Unterrichtsfach) würden die für die Zukunftsfähigkeit wichtige Vorstellungskraft fördern, werden aber meist als zweitklassig, da nutzlos auf dem Arbeitsmarkt angesehen.“ (S. 10) Über die Bedeutung und die notwendigen Rahmenbedingungen für Kreativität schreibt sie ausführlich.

Auch wenn sie nicht wie ich einen labyrinthischen Weg vor Augen hat, so hat sie doch ein ähnliches Bild vor Augen: „Denn egal wie viele Ziele man abhakt, man kommt ohnehin nie an. Das Leben ist keine gerade Linie, sondern eine Schleife oder eine Spirale, in der wir ständig neue Zukünfte entdecken.“ (S. 186)
Ihr Buch endet mit dem Aufruf: „Alle von uns haben die Fähigkeit, die Zukunft zu denken, das ist die Garantie. Wer darin besonders gut werden möchte, sollte vor allem seinen Geist schärfen, nie aufgeben, gerne nachdenken, Fehler tolerieren, einen gewissen Sinn für das Leben haben, verschiedene Erfahrungen sammeln, viel lesen, Energie haben, sich selbst als ein kreatives Wesen begreifen, Risiken eingehen, und nicht zuletzt: Wir sollten Veränderungen als normalen Teil des Lebens begreifen.“ (S. 190)

Ich empfehle dieses sachliche und ermutigende Buch Lehrer:innen, Schüler:innen, Eltern, Interessierte und auch allen Uninteressierte sehr, weil es eine wirklich ausgezechnete Grundlage und Einstimmung ins Thema ist, das viele Impulse zu reflektieren und auch zu handeln gibt!

Okt. 2023
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at