Martine Durig, Direktorin der Volksschule Bludenz-Mitte, wünscht sich, dass ihre Schule auch weiterhin eine Schule sein kann, „in der die Kinder mit Freude lernen können – gleich woher sie
kommen, welche Sprache sie sprechen oder welcher Religion sie angehören. Das Grundthema unseres Schulentwicklungsprozesses ist Chancengerechtigkeit. Wie soll das möglich sein in einer Atmosphäre
der Selektion, Überprüfung und Stigmatisierung.“
Durch die „strikte Einführung der Deutschklassen“, sieht Durig ihr erfolgreiches Schulmodell gefährdet. Sie mache sich große Sorgen, aber „habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben!“
Deshalb hat sie einen Brief an die für Bildung zuständige Landesrätin Barbara Schöbi-Fink geschrieben.
ms
Sehr geehrte Frau Landesrätin!
Ich habe Sie in den bisherigen Begegnungen als eine Persönlichkeit kenngelernt, die viel Verständnis für die Probleme an den Schulen mitbringt. Ich mag den Ausdruck „Brennpunktschulen“ nicht
besonders, aber wir sind eine von den 4 Schulen, die für das Projekt „Chancen erweitern, Möglichkeiten eröffnen“ ausgewählt wurden. Wir haben an unserer Schule ein sehr fundiertes Konzept der
Sprachförderung aufgebaut, haben Jahrgangsmischungen eingeführt, legen Wert auf Begabtenförderung und können selbstbewusst anmerken, dass das Miteinander der Religionen und Sprachen gut
funktioniert. Wir hatten auch gute Ergebnisse bei den diversen Standardüberprüfungen. Der positive Zugang zu Mehrsprachigkeit und Diversität bewirkte bisher, dass wir mit unseren
Zusammensetzungen auch in der Öffentlichkeit einen guten Ruf hatten.
Wir hatten bisher Ressourcen zur Verfügung, um bestimmte Projekte wie eine zusätzliche Englischstunde, das Fach Gemeinschaft, Begabtenförderung und eine intensive Sprachförderung
durchzuführen. Die strikte Einführung der Deutschklassen ändert bei uns sehr viel. Ausgerechnet im Schuleingangsbereich, in dem die Kinder zusammenwachsen sollen, wird von uns verlangt, die
Kinder in Gruppen zu teilen und klare Selektion zu betreiben. Das widerspricht jedem integrativen Gedanken und kann beim besten Willen nicht förderlich für die Entwicklung unserer Gesellschaft
sein. Ich müsste mich entscheiden, ob ich eine Vorschulklasse führe oder eine Deutschförderklasse – diese Entscheidung ist relativ klar. Wenn ich die Kinder, die Förderbedarf haben, aus den
ersten Klassen nehme, fallen mir diese Klassen oder die Jahrgangsmischungen zusammen. Außerdem widerspricht es meiner tiefen Überzeugung, Kinder in sogenannten „Ausländerklassen“ zu separieren.
Das hatten wir schon einmal und es hat sich nicht bewährt. Kinder können in ausgeglichenen Mischungen am besten lernen. Alle Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in einer Klasse
zusammenzufassen ist ein Unfug. Sie brauchen Sprachvorbilder und Anreize und die Möglichkeit der Teilhabe, die Schulsprache zu lernen. Außerdem haben wir an der Schule ein extremes Raumproblem
und ich wüsste nicht, wo eine Sprachklasse einzurichten wäre.
Ich habe Ihnen die Artikel über die Zugeständnisse in Wien zukommen lassen. Wie steht es mit der Flexibilität in Vorarlberg? Was für Wien gilt, müsste doch für Vorarlberg auch gehen.
Ich brauche unbedingt die Möglichkeit, die Kinder auch integrativ führen zu können. Sonst werde auch ich mich dazu durchringen müssen, auf die Deutschförderklasse zu verzichten. Wenn eine
Einrichtung auf Kosten aller SchülerInnen geht, kann ich das pädagogisch nicht verantworten. Wo bleibt die oft versprochene Schulautonomie?
Bei mir steht derzeit mein komplettes Schulmodell in Frage. Ich werde mir überlegen müssen, am Schulbeginn ein Schulforum einzuberufen, um die Änderung der gesamten Struktur bekanntzugeben.
Das geht natürlich auf Kosten der Unterrichtsqualität. Bei unseren Mischungen werden die Lehrpersonen mit weniger Unterstützungsressourcen an ihre Grenzen kommen und viele Kinder auf der Strecke
bleiben. Im Vergleich zu diesem Schuljahr werden durch die neue Regelung viel weniger Stunden zur Verfügung stehen.
Ich bitte Sie inständig, sich für die betroffenen Schulen einzusetzen! Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie diese Entwicklungen mittragen können. Ich bin derzeit
frustriert, demotiviert und mache mir große Sorgen. Ich wünsche mir, dass wir so weiterarbeiten können wie bisher. Die Volksschule Bludenz-Mitte soll eine Schule sein, in der die Kinder mit
Freude lernen können – gleich woher sie kommen, welche Sprache sie sprechen oder welcher Religion sie angehören. Das Grundthema unseres Schulentwicklungsprozesses ist Chancengerechtigkeit. Wie
soll das möglich sein in einer Atmosphäre der Selektion, Überprüfung und Stigmatisierung.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben!
Beste Grüße,
Martine Durig
Volksschule Bludenz-Mitte
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