Systemsprenger…. nicht nur im Kino

 

„Systemsprenger“ heißt ein Film der deutschen Regisseurin Nora Fingscheidt, der derzeit in den heimischen Kinos läuft.

 

Die neunjährige Benni muss immer wieder zu neuen Pflegefamilien bzw. in neue Wohngruppen. Es gibt keinen Platz in ihrem Leben, an dem sie ausgehalten wird. Jede neue Chance, die sie erhält, macht
sie mit unkontrollierten Impulsdurchbrüchen zunichte.

Benni will nur bei ihrer Mutter sein. Doch die hat sie abgegeben, weil sie nicht mehr kann, sie fürchtet sich vor ihr und hält sie nicht aus.

Auch das Jugendamt, das System, sind mit Benni heillos überfordert.

 

Ich bin Lehrerin und arbeite in einer Förderklasse. Förderklassen sind Kleinklassen, die Kinder und Jugendliche betreuen, die sozial und/oder emotional so belastet sind, dass ein
Verbleib in der Großgruppe nicht möglich ist. Zu zweit versuchen wir Kindern wie Benni Halt zu geben, ihre soziale Kompetenz zu verbessern, ihnen in der Schule einen Platz zu bieten, an dem sie
zur Ruhe kommen können.

 

In einem Schulsystem wie dem unseren ist das gar nicht so einfach. Leistung ist gefragt in unserer Zeit. Jede/r muss vom ersten Schultag an seinen/ihren Beitrag leisten. Anders sein könnte
leistungswillige, leistungsfähige MitschülerInnen in ihrem Fortkommen bremsen. Das ist die Angst vieler Eltern, vieler LehrerInnen.

 

Also muss es aufhören – dieses Anders-sein. Das sehen auch die für Schule verantwortlichen PolitikerInnen so. Lösungen müssen gefunden werden. Sofort. Schnell. Und vor allem kostenneutral.

 

Täglicher Überlebenskampf

 

Während alle politisch Verantwortlichen fieberhaft überlegen, kämpfen  Benni, ihre LehrerInnen, Eltern/Betreuer und viele unbeteiligte Kinder buchstäblich ums tägliche Überleben im
Klassenzimmer. Manche Kinder lassen sich mit den altbekannten Methoden in einer Gruppe von 25 oder auch mehr einfach nicht mehr bändigen. Rufe nach Supportpersonal werden laut. Das verstehen die
PolitikerInnen, das finden sie auch gut – nur leider kann sich das Bildungsressort diesen Support derzeit nicht oder nur völlig unzureichend leisten.

 

Zurück zur Straf-Pädagogik statt finanzieller Unterstützung

Aber die PolitikerInnen präsentieren umgehend andere Lösungen:

 

● Schluss mit der Kuschelpädagogik und den Reformen der letzten Jahre! Spätestens im zweiten Schuljahr müssen die Kinder wieder „ordentlich“ – mit Ziffernnoten – benotet werden. Damit sie und
alle an der Erziehung beteiligten Menschen „objektiv“ feststellen können, ob die Leistung des Kindes entspricht oder nicht.

● Eltern müssen wieder mehr in die Verantwortung genommen werden! Und wenn sie diese nicht wahrnehmen wollen (oder können), dann werden Geldstrafen angedacht und auch verhängt. Das hilft!
Bestimmt! Strafen wirken!

 

Schulalltag für Benni verschärft

Doch all diese Maßnahmen lassen Benni in unseren Klassenzimmern kalt.

Dabei ist sie gar nicht ignorant. Wer den Film sieht, merkt ganz schnell: Das Mädchen ist unglücklich! Sehr sogar! Sie möchte gefallen, „brav“ sein, geliebt werden. Und doch gelingt es ihr nicht.
Sie ist gefangen in sich selbst, in ihren Verhaltensweisen. Was sie braucht sind Menschen, die ihr zur Seite stehen, Menschen, die sie begleiten und unterstützen – sie braucht Support.

 

Und da schließt sich der Kreis zum Schulalltag: In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die anders sind, die nicht so richtig dazu passen. Das kann kein wie auch immer geartetes Schulsystem
verhindern. Wir LehrerInnen brauchen Unterstützung in Form von BeratungslehrerInnen, PsychagogInnen, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, TherapeutInnen oder BetreuerInnen – um Kinder, die es
brauchen, in ihrem Schulalltag zu unterstützen. Nur so können wir dazu beitragen, dass Schicksale, wie das von Benni, in unserer Gesellschaft minimiert werden. Kostenneutral wird das nicht
gelingen, gewinnbringend wäre es für alle.

 

Beitrag von Claudia Astner, Wien

 

Bildnachweis: Bild von Mandyme27 auf Pixabay