So schwer es den politisch Verantwortlichen fallen mag: Bildung muss an oberster Stelle ihrer Agenda stehen, darf aber auf keinen Fall zum parteipolitischen Spielball werden. Zu wichtig ist ihr
Einfluss auf die Zukunft eines Landes. Die Fakten sprechen in Österreich eine andere Sprache – nach wie vor ist Bildung vererbt, nur 23% aller Kinder und Jugendlichen schaffen einen höheren
Bildungsabschluss als ihre Eltern (EU- weit liegt diese Rate bei 47%). Bildungs- politische Maßnahmen unterliegen völlig der Parteiräson der jeweils Regierenden. Ideologische Claims werden
eifersüchtig abgesteckt, und keine Partei gönnt der anderen einen Erfolg, was seit Jahrzehnten dazu geführt hat, dass ein Schritt vorwärts meist zwei Schritte rückwärts nach sich zieht, wie auch
die jüngsten Entscheidungen des Bildungsministers beweisen.


Entpolitisierung ist, allen Objektivierungsbestrebungen zum Trotz, vor allem auch bei der Bestellung von SchulleiterInnen sowie in der Personalvertretung und Gewerkschaft ein Dauerthema – wir
unabhängigen LehrerInnen fordern sie seit Mitte der 1980er Jahre. Um wieviel zufriedener wären Schulen mit ihren LeiterInnen, wenn das Votum der Schulgemeinschaft über etwaige parteipolitische
Interessen gestellt worden wäre. Ebenso könnte die LehrerInnenvertretung dem Dienstgeber wesentlich durchsetzungsstärker gegenübertreten und die Interessen der KollegInnen viel zielführender
vertreten, wenn da nicht auch Parteiinteressen im Hinterkopf wären. Das Weisungsrecht der Vorgesetzten, wie vieles in der Institution Schule ein Relikt aus den militärisch organisierten Anfängen
des Schulwesens, sollte längst der Vergangenheit angehören, erlebt aber gerade wieder eine Renaissance. Darüber hinaus wären SchulleiterInnen auf Zeit, von den jeweiligen Kollegien gewählt,
wesentlich zeitgemäßer und dem System zuträglicher.
 
Schule braucht klare Visionen für die Zukunft:

Die heuer eingeschulten ErstklasslerInnen werden ihre Schullaufbahn frühestens im Jahr 2027 beenden, so sie eine Lehre wählen, oder überhaupt erst 2029/30 bzw. 2030/31, wenn sie eine Reifeprüfung
an einer AHS oder BHS ablegen. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit lässt vermuten, dass diese AbsolventInnen eine radikal andere Lebensrealität vorfinden werden, auf die sie unser Schulsystem nur
unzureichend vorbereitet. Einerseits weil Zukunft nie zu hundert Prozent vorhersehbar ist, andererseits weil das österreichische Schulwesen, trotz aller Reformen und Reförmchen der letzten
Jahrzehnte, immer noch (wie übrigens die meisten Schulsysteme) nach sehr traditionellen Mustern funktioniert. Daran haben auch die regelmäßig stattfindenden Finnlandbesuche unserer Bildungs-
verantwortlichen nichts Wesentliches zu ändern vermocht.

Im Buch „Bildung 2030“ beschreiben der Kreativitätsforscher und Erziehungswissenschaftler Olaf-Axel Burow und die Schulpädagogin Charlotte Gallenkamp, wie Schule in etwa einem Jahrzehnt aussehen
wird. Sie sehen positive Pädagogik und Wertschätzung als Schlüssel zur Zukunftsschule. Der künftige Lehrer ist ein Potentialentwickler, der Berufsorientierung sowie globales und digitales Lernen
fördert. Aus Sicht des Autorenduos werden sieben Trends die Schule revolutionieren: Digitalisierung, neue LehrerInnenrolle, Vernetzung, Veränderung des Lehr-/Lernraumes, Gesundheitsorientierung,
Demokratisierung sowie Glücksorientierung/Achtsamkeit. Seitens des Systems Schule wird diesen Trends derzeit kaum Rechnung getragen. Dass es dennoch funktioniert und an den Schulen alles nur
Mögliche zum Thema Zukunftsfähigkeit passiert, ist dem persönlichen Engagement von Lehrerinnen und Lehrern sowie manchen weitsichtigen Verantwortlichen geschuldet. Schulen setzen unzählige
Initiativen, die auf die Bedürfnisse unserer SchülerInnen und die Zukunft, in die sie hineinwachsen, reagieren. Lehrerinnen und Lehrer geben ihr Bestes, um diese Zukunftsfähigkeit zu garantieren
– Unterstützung von oben ist allerdings dabei kaum gegeben – das Budget für die Fortbildung wird seit Jahren kontinuierlich gekürzt!

Schule braucht mehr Raum und mehr Zeit:

zum einen den geschützten Rahmen, in dem Lernen und Lehren stattfinden kann; zum anderen räumliche Bedingungen, die Arbeit und Freizeit in der Schule, den Klassenzimmern und den Konferenzzimmern
begünstigen. Die derzeitige Raumsituation an vielen Schulen gleicht eher einer Käfighaltung: viel zu kleine Klassen, ungenügende Ausstattung, überfrachtete Arbeitsräume für die LehrerInnen, keine
Rückzugsmöglichkeiten etc. Trotz aller Beschwörungsformeln, mehr Zeit in der Schule zu verbringen, „flüchten“ daher SchülerInnen wie LehrerInnen oftmals schnellstmöglich vom Ort des Geschehens.
Dabei erfordern die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen unbedingt ganztägige Angebote, wobei die SchülerInnen außerhalb des Unterrichts auf gar keinen Fall von den LehrerInnen betreut
werden sollten. Es braucht zusätzliches Personal, das nach der Unterrichtszeit sinnvolle und vielfältige Nachmittagsgestaltung anbietet. Es braucht weiters Support- personal auf breiter Basis,
wie z.B. administratives Personal, StützlehrerInnen, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Zurzeit werden all diese
zusätzlichen Anforderungen von uns Lehrerinnen und Lehrern gestemmt, was die Gefahr totaler Überlastung in sich birgt, und damit den schleichenden Verlust von Freude und Lust am Engagement bis
hin zum Burnout.

Schule braucht Wertschätzung für ihre Lehrerinnen und Lehrer.

Wenige Berufsgruppen müssen sich ein so negatives Bild in der Öffentlichkeit gefallen lassen und stehen so sehr im Mittelpunkt öffentlicher Kritik wie Lehrerinnen und Lehrer. An diesem negativen
Bild hat neben den Boulevardmedien auch unser Dienstgeber einen wesentlichen Anteil, der die vielfältigen Aufgaben vergisst, die LehrerInnen neben Wissensvermittlung meist hochmotiviert und
engagiert für ihre SchülerInnen zu leisten bereit sind. Wertschätzung für unsere Arbeit und für die uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler müsste sich in der Bereitschaft der Politik
ausdrücken, u.a. die hier angesprochenen Punkte offensiv zu verändern, ins System Schule zu investieren, Raum- und Arbeitsbedingungen zu verändern, das Fortbildungsbudget zu erhöhen,
Supportpersonal einzusetzen, Supervision anzubieten, auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen (z.B. Migration) und auf Zukunftsfragen zu reagieren.

Last but not least braucht Schule auch das, was der etwas antiquierte Begriff „pädagogische Ruhe“ ausdrückt: Zeit und Ruhe, um zu lehren und zu lernen,
zuzuhören, zu recherchieren, festzuhalten, auszutauschen, einzutauchen in Lerninhalte und die- se sich setzen zu lassen, um sie danach in den unterschiedlichsten Formen anzuwenden, damit
„learning by doing“ nicht nur ein Schlagwort bleibt. Diese pädagogische Ruhe, so viel ist sicher, kommt in unseren Schulen immer mehr zu kurz – zu sehr sind wir alle, von unseren Vorgesetzten
abwärts, damit beschäftigt, alle Vorgaben, die die unterschiedlichsten Stellen von uns fordern, zu erfüllen. Zu sehr haben wir uns auf ein System eingelassen, das das gegenseitige Messen über die
kontinuierliche Wissensvermittlung stellt, die kurzen, nach außen präsentierbaren Erfolge, Zertifizierungen, Awards über das langsame, dafür aber nachhaltig bestehende Erwerben von Kompetenzen.
Bildung ist nicht zuletzt auch Persönlichkeitsbildung. Und das ist viel mehr als die leicht messbare Abrufbereitschaft atomisierten Wissensgutes.

Mit anderen Worten: Was Schule braucht, sind bestmögliche Bedingungen für gutes schulisches Arbeiten, und das möglichst ungestört durch außerschulische Faktoren. Damit Unterricht nicht zur
Nebensache wird!