Kommentar zum Pensionsgipfel von Manfred Sparr
Überraschend vernünftig und mutig sind die Vorschläge, die SPÖ und ÖVP ausverhandelt haben.
Überraschend vernünftig, weil nicht erneut tiefe Einschnitte in das bestehende System zu Lasten der unselbständig Erwerbstätigen gemacht wurden. Von den präsentierten Maßnahmen
sind zwar einige bezüglich ihrer Ausgestaltung noch sehr unpräzise, aber die Stoßrichtung, in welche Richtung die Regierung die nächste Pensionsreform andenkt, ist erkennbar. Das Ziel ist es, die
Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten. Erreicht werden soll dies durch Bonussysteme und Erleichterung des Wiedereinstiegs ins Arbeitsleben nach längerer Krankheit (Bei langen Krankenständen
wird eine teilweise Rückkehr in den Job ermöglicht) und Arbeitslosigkeit (Zugang zu Umschulungsprogrammen soll ausgeweitet werden). Außerdem sollen Umschulungsmaßnahmen bei vorübergehender
Arbeitsunfähigkeit, also Bezug von Rehabilitationsgeld (befristete Invaliditätspension) schon während der medizinischen Behandlung möglich sein. Als Bonussystem, das zum Arbeiten über 65/60
motivieren soll, ist die angedachte Reduzierung des Pensionsbeitrages für den Arbeitnehmer und -geber um die Hälfte, wenn jemand über das gesetzliche Pensionsalter hinaus arbeitet, aber die
Pension nebenbei nicht in Anspruch nimmt.
Und mutig sind die Vorschläge angesichts der massiv vorgebrachten Forderungen und Angstparolen einzelner mächtiger Lobbygruppen, vornehmlich aus der Wirtschaft. Das
Pensionssystem in dieser Form sein in ein paar Jahren nicht mehr finanzierbar, die Menschen gingen immer früher in die Pension und das Beamtenpensionssystem sei sowieso viel zu teuer, so die
neoliberal verankerten Lobbys. Von serösen Berechnungen, objektiver Betrachtung der Materie und Ehrlichkeit sind diese Behauptungen so weit entfernt wie alt.
> Siehe dazu auch die Beiträge seit 01.01.2016 auf
oeliug.at
Und wieder einmal darf Bernd Marin seinen Kommentar dazu im derstandard.at abgeben. Es macht keinen Sinn näher auf seine Aussagen einzugehen, wissen wir doch, dass er für
die oben genannten Lobbys das Wort redet. Aber in seinem Interview im Standard sind seine Aussagen kabarettreif und in diesem Sinne wirklich lesenswert. So Antwortete er zum Beispiel auf die
Frage: „Aber generell ist es doch ein richtiger Schritt, dass man Menschen motivieren will, über das gesetzliche Pensionsalter hinaus zu arbeiten?: „Das ist ein völlig richtiger
Schritt, aber leider ein unzureichender. Denn seit wir Versicherungsmathematisch annähernd korrekte Zu- und Abschläge haben, also seit letztem Jahr, bringt eine bloße Erhöhung des faktischen
Pensionsalters keine Entlastung der Pensionskassen mehr.“
Ja, was denn nun? Einerseits freuen wir uns, dass der Sozialwissenschaftler und Pensionsexperte das endlich kapiert hat, andererseits verwundert seine Fähigkeit, in immer kürzeren Abständen
Gegenteiliges zu behaupten. Und dann kommt immer dieselbe Leier: Nur die automatische Anpassung (Anhebung) des gesetzlichen Pensionsalters bring Geld in die Pensionskasse. Die realen
Rahmenbedingungen spielen dabei keine Rolle. Falsche Behauptungen und Klischees, wie die Anhebung auf deutsches Niveau „würde den impliziten Schuldenberg, den wir in Österreich haben, enorm
verkleinern“, ersetzen die Fakten: Eine seriöse Berechnung für alle Pensionssysteme ergibt einem Anstieg von weniger als 1 % des BIP in 25 Jahren – wenn am jetzigen System nichts geändert
wird. So schaut es aus!
Die Probleme, wie Arbeitslosigkeitsrisiko im Alter, dass ältere Arbeitnehmer/innen von den Arbeitgebern in die Pension gedrängt werden, will er nicht sehen. Dass die Arbeitsplätze meist nicht
altersgerecht gestaltet sind – außer für höher Qualifizierte Menschen, negiert er vollkommen. Schuld sei die Einstellung der Menschen, vor allem der privilegierten Mittelklasse: „… inzwischen
erfasst die Flucht aus dem Job weite Schichten der eigentlich privilegierten Mittelklassen. Da herrscht eine Kultur der Frühpension, ein Mix aus muffeliger Unterschichtverweigerung und
aristokratischen Werten des Müßiggangs gegenüber dem bürgerlichen Wert der Leistung.“
Die Vehandler des Pensionsgipfels haben sichtlich erkannt, dass eine die ständig geforderte Generalsanierung des Pensionssystems nicht wirklich erforderlich ist. Seit 1993 gab es sieben große
Pensionsreformen und einige kleinere Anpassungen. Allesamt auf Kosten der Arbeitnehmer. Die Wirtschaft und das Kapital war und ist nie bereit auch einen Anteil beizutragen. Das Pensionssystem
ist nicht so unreformiert, wie Alarmisten gerne behaupten, schreibt zum Beispiel Gerald John im der.standard.at in seinem Kommentar „Die blinden Flecken der Pensionsreform“.
Die Möglichkeiten vor dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in Pension zu gehen, wurden eliminiert. Möglich ist dies de facto nur mehr bei Arbeitsunfähigkeit (Invalidität) und über den
Pensionskorridor. Beides mit sehr hohen Abschlägen, die das Pensionssystem finanziell nicht belasten. Auch die Leistungen, vor allem bei Beamt/innen, wurden drastisch beschnitten und das
durchschnittliche Pensionsantrittsalter steigt jedes Jahr signifikant an.
Das Thema Arbeitsplatzqualität ist bisher in der Pensionsdebatte, wie auch beim Pensionsgipfel zu kurz gekommen. Dazu Christopher Prinz im Interview im der.standard.at zum Thema „Jobqualität“: Bei der Frage, wie wir die
Lebensarbeitszeit verlängern können, spielen Quantität und Qualität der Arbeit eine große Rolle. Wenn wir wollen, dass die Menschen bis 65 arbeiten, müssen wir auch sicherstellen, dass die
Arbeitsbedingungen das ermöglichen.“ Eine solche Reform käme ohne gesetzliche Rahmenbedingungen nicht aus, die Maßnahmen und einen großen Einsatz von den Firmen verpflichtend einfordern würden.
Davon wollen die Wirtschaftsleute aber nichts wissen.
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