RESOLUTION der ÖLI-Generalversammlung 2020
Sehr geehrte Bildungsverantwortliche der Österreichischen Bundesregierung und aller im Österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien!
Schule kann nur partnerschaftlich gelingen und es braucht einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen: Wir glauben, Schule muss in
Pandemiezeiten anders organisiert werden, wenn man sie offen halten will. Schulkinder verdienen es, Schule als sozialen Ort zu erleben, und Lehrer*innen haben ein Anrecht auf Gesundheit
erhaltende Arbeitsbedingungen (siehe: Art. 3(1) in Verbindung mit 31 (1) GRCh).
Dabei halten wir uns als Lehrer*innenvertretung an die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, der
deutschen Gesellschaft für Virologie und an den internationalen wissenschaftlichen
Konsens. Einen guten Überblick über die Maßnahmen gibt die Seite https://schools.forhealth.org/risk-reduction-strategies-for-reopening-schools/.
Wir fordern:
- Lehrer*innenkonferenzen haben bei hohen Inzidenzen (≥ 5/10.000) nur digital stattzufinden.
-
Maskenpflicht für alle, wenn es epidemiologisch notwendig ist, sonst soll eine Lehrperson selbst darüber entscheiden können, ob Maske von ihr und den Kindern im Unterricht
getragen werden oder nicht. (https://doi.org/10.1016/j.jeconom.2020.09.003) Die Entscheidung zu einer allgemeinen Maskenpflicht in den Schulen muss in die Hände eines
wissenschaftlichen Beirats gelegt werden. - Die Versorgung mit partikelfilternden FFP2-Masken für alle Lehrer*innen in ausreichendem Maße hat der Schulerhalter zu gewährleisten (mindestens 1 Stück pro Person und
Tag). - Erhöhung der Mindestabstände auf 2 Meter.
- Luftreinigungssysteme: Installation in den Klassen- und Gruppenräumen in den Schulen bzw. Kindergärten zum Schutz der Elementarpädagog*innen und Lehrpersonen.
-
Reduzierung von Kontaktmöglichkeiten im Kontaktnetzwerk Schule durch Klassenteilungen, Organisation des Unterrichts in Kleingruppen, ≤ 9 Schulkinder (https://doi.org/10.1073/pnas.2018490117). Eine Durchmischung sollte nur bei
niedrigen Inzidenzen (≤ 3,5/10.000) erlaubt sein. Eine Anmietung bzw. das Überlassen von weiteren Klassenräumen werden notwendig sein. -
Quarantäneregelung: Wird ein Schulkind positiv getestet, wird die ganze Kleingruppe für 5 Tage in Quarantäne geschickt und nach 5 Tagen freigetestet, dann erfolgt ein
Wechsel in den Präsenzunterricht. -
Informationspflicht: Werden Lehrpersonen oder Schulkinder positiv auf Covid-19 getestet, ist das betroffene Schulkollegium transparent von der Schulleitung darüber zu
informieren. Die Fürsorgepflicht des Dienstgebers und das Recht auf Gesundheit sind höher zu bewerten als der Datenschutz. - Lehramtsstudierende für Mathematik-, Deutsch- und Englisch-Fördermaßnahmen bezahlt einsetzen
-
Aufklärung von Eltern und Angebote der Zusammenarbeit mit ihnen, z.B. zur Hygiene, Prävention und über die Möglichkeiten der Pflegefreistellung (kranke Kinder gehören nicht
in die Schule). Eltern müssen ihre kranken Kinder zuhause betreuen und pflegen können. Neben den sonst bestehenden Rechtsansprüchen gibt es noch die Sonderbetreuungszeit. -
Schwangere Lehrerinnen: Anspruch auf Homeoffice für schwangere Bundes- und Landeslehrerinnen und Dienstfreistellung (https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/69/wr/mm6944e3.htm),
wenn Homeoffice nicht möglich ist: Schwangeren kann ein Tragen einer Schutzmaske nicht zugemutet werden, weil dies eine Gefahr für das ungeborene Kind bedeuten würde. - Lehrpläne Covid-19-bedingt entschlacken
Ganz Österreich ist derzeit bei den Covid-19-Fallzahlen um ein Vielfaches über 5/10.000 Einwohner*innen, was in Deutschland „rot“ bedeutet. Sollte es gelingen, in den nächsten Wochen unter
diesen Wert zu kommen, so ist bei einem neuerlichen Steigen der Fallzahlen über diesen Wert wieder zu prüfen, ob für kurze Zeit in den Distanzbetrieb gewechselt wird.
BEGRÜNDUNG
Schule ist ein wichtiger Ort für die Entwicklung und Bildung unserer Kinder. Schule muss aber auch ein sicherer Ort für deren Potentialentfaltung sein. Eltern wollen darauf vertrauen können,
dass die Gesundheit ihrer Kinder geschützt wird, und die Lehr*innen wollen darauf vertrauen können, dass ihre Gesundheit geschützt wird.
Kinder, ihre Eltern und die Lehrer*innen stellen in der aktuellen Schuldebatte berechtigte Ansprüche:
Kinder erleiden selten eine Covid-19-Erkrankung und wenn doch, haben sie in den meisten Fällen einen sehr milden Krankheitsverlauf. Kinder leiden in dieser Pandemie besonders an
den sozialen und psychischen Folgen von geschlossenen Schulen.
Eltern im Alter bis zu 45 Jahren gehören meist nicht zu einer Covid-19-Risikogruppe und haben im Fall einer Covid-19-Erkrankung in der Regel keinen schweren Verlauf. Sie erleben
die Auswirkung der Pandemie aber in einer anderen Form sehr heftig: Sie haben einerseits große Sorgen und Ängste um ihre Arbeitsplätze und anderseits fürchten sie um die Zukunft ihrer Kinder und
sehen ihre Bildungschancen schwinden. Sie leiden mit ihren Kindern, weil der soziale Ort Schule in Corona-Krisen anders organisiert ist und die Beziehungen zu Mitschüler*innen und Lehrer*innen
nicht gelebt werden können wie bisher.
Lehrer*innen erleben häufig schwerere Covid-19-Erkrankungen, weil über 40% älter als 50 Jahre sind. Auch sie haben Ängste und berechtigte Sorgen: Einerseits um die ihnen
anvertrauten Kinder und ihre Bildungschancen, um die eigene Gesundheit und um das Leben ihrer Eltern, die häufig der höchsten Risikogruppe angehören. Sie erleben Schule als Ort mit mangelnden
gesundheitlichen Schutzmaßnahmen. Der Vergleich der Betroffenheit der einzelnen Gruppen bei einer Covid-19-Erkrankung kann nachgelesen werden unter https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.07.23.20160895v5.full.pdf.
Die steigenden Infizierten-Zahlen zeigen, dass Schule ein ganz sensibler Bereich ist: So gehörten nach den Herbstferien einerseits etwa 17% aller positiv Laborgetesteten zur
Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen, obwohl sie nur etwa 10% der Gesamtbevölkerung ausmachen (dies betrifft vor allem die Sekundarstufe II), aber anderseits gehörten nur etwa 6% aller
Infizierten der Altersgruppe der 5- bis 14-Jährigen an, wobei hier die unter 10-Jährigen häufig nicht getestet wurden und es demzufolge eine hohe Dunkelziffer gibt. (https://doi.org/10.1016/j.medj.2020.10.003)
Die am 13. November veröffentlichten Erstergebnisse der „Gurgelstudie“ bestätigen dies: So lag die Fallinzidenz im Zeitraum von 28.9. bis 22.10.2020 bei den 6- bis 10-Jährigen und den 10- bis
14-Jährigen bei etwa 40/10.000 (https://oesterreich.orf.at/stories/3075784), während die Fallinzidenz bei der Gesamtbevölkerung im selben Zeitraum im Durschnitt bei knapp unter
10/10.000 lag, mit einem Höchstwert bei der Fallinzidenz am 22. Oktober bei etwa 15/10.000.
Das zeigt, dass Schulkinder mindestens genauso zur Virusverbreitung beitragen bzw. weist dies sogar auf ein höheres Infektionsgeschehen in
diesem Zeitraum in den Schulen hin.
Auch bei den infizierten Lehrkräften sieht man, dass das Infektionsgeschehen vor Schulen nicht stoppt, so waren im selben Zeitraum in Summe ca. 1,2% der Lehrer*innen infiziert,
während nur knapp unter 0,9% aller Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 25 bis 64 Jahren sich infiziert haben. Das heißt, die Infektionswahrscheinlichkeit in den Schulen ist
signifikant höher, nämlich um ein Drittel.
Alle Beteiligten täten gut daran anzuerkennen, dass alle Schulkinder, Eltern und Lehrer*innen zur Virusverbreitung beitragen können. Die Schulkinder können das Virus mit nachhause nehmen und in
die Schule eintragen, andere infizieren (https://science.sciencemag.org/content/370/6517/691); die Eltern können sich bei ihren Kindern infizieren (https://science.sciencemag.org/content/370/6517/663) und das
Virus auch an sie weitergeben; und natürlich auch Lehrkräfte, die das Virus in die Schule eintragen, zum gefürchteten Superspreader werden können (https://doi.org/10.1101/2020.10.13.20211359).
Dies gilt es jetzt einfach einmal anzuerkennen. Ohne Schutzmaßnahmen und einer gut überlegten Teststrategie können sich Schulen aber nicht in ausreichendem Maße schützen und es bestünde immer
die Gefahr, die Kontrolle über das schulische Infektionsgeschehen unbemerkt zu verlieren. Der deutsche Virologe Prof. Dr. Christian Drosten weist auf das Problemfeld Schule hin und fasst die
aktuelle Studienlage (https://doi.org/10.5694/mja2.50823) zusammen:
„Man muss hier überall nach Kompromissen suchen. Es ist ja klar, die Schulen müssen möglichst weiter betrieben werden. Es ist gleichzeitig aber auch klar, wie wir schon seit langer Zeit
wissen und jetzt auch bestätigt bekommen durch epidemiologische Beobachtungen, dass die Infektionsgefahr in Schulen genauso ist wie die Infektionsgefahr in jeder anderen vergleichbaren
Sozialsituation.“
Und er ergänzt: „Viele Studien zur Rolle der Schulen stammen aus der Zeit des ersten Shutdowns, als – anders als jetzt – auch die Schulen und Kitas geschlossen waren. Wohl auch deshalb hat
sich in der Gesellschaft lange die Vermutung gehalten, dass Kinder weniger betroffen sind. Jetzt aber gibt es Antikörper-Studien zu Schulen, die aufzeigen, wie viele unentdeckte Infektionen es
bei Kindern gegeben hat. Der Eindruck erhärtet sich, dass die Schuljahrgänge genauso zum Verbreitungsgeschehen beitragen wie andere Altersgruppen in der Bevölkerung.“
Österreichische Lehrer*innen Initiative – Unabhängige Gewerkschafter*innen für mehr Demokratie – https://www.oeliug.at
Rückfragen:
Tel. 0680 21-24-358
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