Der vor einem Jahr emeritierte Professor am Institut für Lehrer_innenbildung und Schulforschung (ILS) der Universität Innsbruck, Prof. Michael Schratz, hat weltweit die besten und erfolgreichsten
Schulen besucht und erforscht. Auf Basis der Gemeinsamkeiten,die die guten Schulen verbindet und die Schlüsse die man daraus für ein gut funktionierendes Bildungssystem ziehen kann, analysiert
und beurteilt

 

Bildungsexperte Michael Schratz im Interview mit Peter Mayr, Karin Riss (DerStandard): „Rück- statt Fortschritte sieht
Schratz in Österreichs Bildungssystem. Ziffernnoten, Sitzenbleiben und Halbtagsschule seien gestrig.“

 

Gemeinsame Ziele
Eine Schule sei immer kontextgebunden, aber unabhängig von ihrem Standort zeichne alle guten Schulen aus, dass sie gemeinsame Ziele haben, auf die sie hinarbeiten. Fachliche
Qualifizierung sei die Grundlage jedes guten und erfolgreichen Unterrichts, aber auf den Beitrag des Fachs zum großen Ganzen müsse mehr geachtet werden.

Weg von der Halbtagsschule und der frühen Trennung des Schulsystems mit zehn Jahren
Fachbezogenes Lernen, Pflegen der Schulkultur gehe sich in einer Halbtagsschule nicht aus, warnt Schratz. Von der Halbtagsschule müssen wir uns verabschieden. Das fällt uns sonst auf den Kopf.
Auch der zeitlich und in Fächer getaktete Unterricht sei nicht mehr state of the art.
Aber das Bildungssystem in Österreich sei stehengeblieben, wo es schon vor zehn Jahren war. Die Schulleitung sei angehalten Schule neu zu denken. Gute Schulleitungen arbeiten nicht im,
sondern am System
. Wir seien nicht schlechter geworden, aber hätten uns nur wenig weiterbewegt.
Aufgrund seiner großen Erfahrungen mit Schulsystemen auf der ganzen Welt, weiß Michael Schratz, was Bildungsexperten aus dem Ausland zu unserem Bildungssystem sagen. Besucher aus dem Ausland
verstehen nicht, dass man hier nur halbtags in die Schule geht. Die sagen: Ihr verschwendet ja Qualitätszeit! Auch die frühe Trennung des Schulsystems mit zehn Jahren versteht kaum jemand
außerhalb Österreichs.


Zu Faßmann: Mich wundert, dass ein Wissenschafter so etwas sagt
Vollkommen unerklärlich ist dem Wissenschafter Michael Schratz die Feststellung des amtierenden Bildungsministers Heinz Faßmann, dass bildungspolitische Entscheidungen keine wissenschaftliche
Fundierung erfordern. Mich wundert, dass ein Wissenschafter so etwas sagt. Ich muss das zwar zur Kenntnis nehmen, aber als Wissenschafter bin ich der Wahrheit verpflichtet und nicht der
Politik. Evidenzbasierte Bildungspolitik sollte schauen, wie gut sind wir, was können wir tun, damit wir besser werden? Dann sollte alles getan werden, um besser zu werden.
Und genau das
sehe er nicht, sagt Schratz, sondern er erkenne deutliche Rückschritte in bestimmten Bereichen, wie die Einführung der verpflichtenden Beurteilung mit Ziffernnoten in den Volksschulen. Das
finnische Schulsystem hat bis 15 Jahre keine Noten. Ich frage mich, wozu brauche ich sie, wenn ein ganzes Land, das viel erfolgreicher ist als Österreich, darauf verzichten kann?
  Ein
weiteres negatives Beispiel von sei das Sitzenbleiben ab der zweiten Klasse. Laut Schratz kaum mehr Länder, die überhaupt ein Sitzenbleiben haben. Es wäre viel zielführender, und das machen
andere Länder, die personalisiert arbeiten, zu sagen: Wie kann ich das auffangen? Erfolgreiche Beispiele dafür gäbe es genügend.

Bildungsk(r)ampf: Es gibt Zehnjährige mit Magengeschwüren
Michael Schratz antwortet auf die Frage, ob die die NMS überhaupt noch zu retten sei, dass er derzeit keine fundierten Überlegungen vonseiten der österreichischen Bildungspolitik erkenne,
überhaupt ein System zu organisieren, das das Beste für jedes Kind ermöglicht. In der Volksschule fingen bereits in der zweiten, dritten Klasse Interventionen an, dass das Kind in die
richtige Schule kommt. Es gibt Zehnjährige mit Magengeschwüren. Ist es das, was wir wollen?

ms