„Ziffernnoten und Sitzenbleiben sind strukturelle Gewalt“ Der Standard SA./SO., 30./31. März 2019 Inland S
14

Interview mit Paulus Hochgatterer, Kinderpsychiater und Schriftsteller.
Paul Hochgatterer spricht über das Recht auf Gelassenheit, die Freiheit als den wichtigsten Faktor für eine glückliche Kindheit und eine jämmerliche Bildungspolitik – und Politik im Allgemeinen –
der  offensichtlich das Erste ist, was ihr zu kleinen Kindern einfällt, strukturelle Gewalt auszuüben.

 

Ein Auszug zum Themenbereich Bildungspolitik:

 

Kinder zu ängstigen und zu beschämen

Total aufgeregt hat Hofgatterer, dass man bei den Kleinen die Notenbeurteilung und das Sitzenbleiben wieder einführt. Denn wenn man Kinder ängstigen und beschämen will, dann
sollte man das so machen.
Wenn man in einer Gesellschaft nicht freie, mündige Menschen heranbilden will, sondern Menschen, die stumm werden und sich ducken, wenn von oben herab jemand
laut spricht, oder Menschen, die Auf Befehl strammstehen und Parolen nachbrüllen, dann soll man möglichst früh anfangen, die Kinder zu ängstigen und zu beschämen.

Strukturelle Gewalt

Unbedingt sollte laut Hofgatterer die Wiedereinführung der Ziffernnoten und das Sitzenbleiben in der Volksschule rückgängig gemacht werden. Denn das sei strukturelle Gewalt – vor allem
in den ersten beiden Klassen. Durch das Gewaltverbot in den 1980er-Jahren habe die Gewalt in der Erziehung stark abgenommen. Und jetzt komme die Gewalt wieder bei der Hintertür herein. Was
sind wir für ein armseliger Staat, wenn das erste, das uns zu kleinen Kindern einfällt, ist, strukturelle Gewalt auszuüben?! Das ist doch jämmerlich.

 

Kinderstaffelung in der Sozialhilfe ist völlig blödsinnig
Für den Kinderpsychiater Hochgatterer ist die Neuregelung der Sozialhilfe mit der Einführung der Staffelung pro Kind, völlig blödsinnig. Für Familien mit mehreren Kindern bringt die
Neuregelung Einschnitte durch eine Staffelung pro Kind: Für das erste Kind ist eine Sozialhilfe-Satz von 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen (216 Euro für 2018), für das
zweite Kind 15 Prozent (130 Euro) und ab dem dritten Kind gibt es 5 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes (43 Euro). Es sei hinreichend untersucht und eindeutig, dass Kinder aus
sozioökonomisch benachteiligten Familien mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit psychisch krank werden, wie in wohlhabenden Familien. Also wenn man möchte, dass Kinder
psychisch krank werden, dann macht man die Familien arm. Wenn das die Intentionen des Staates sind, wird er mit dieser Methode schon erfolgreich sein.

ms