Susanne Wiesinger – Kopf des Tages im Standard:
Die Lehrerin, die dem konservativen Islam entgegentritt (Conrad Seidl)
Kommentar dazu von Karin Gangl
Wiesinger hat der Diskussion um Einwanderung, Integration und Schulbildung mit ihrem Buch keinen Gefallen getan. Auch dann nicht, wenn sie die von ihr geschilderten Erlebnisse in Wien-Favoriten
so wahrgenommen hat. Schlicht, weil darüber einige Dinge aus dem Blickwinkel geraten: Dass nämlich eine Reihe von muslimischen Schülern durchaus versuchen, sich ins Schulsystem zu integrieren –
von denen hört man nichts, die gehen in der Pauschalierung von Wiesinger unter. Man hört auch nichts von jenen ur-österreichischen Schülern, die eine echte Belastung fürs Bildungssystem sind,
weil die Eltern sich nicht um sie kümmern und für sie Werte wie Höflichkeit, Respekt, Fleiß Fremdworte sind.
Ich halte das Unterrichten HEUTE für ungleich schwieriger als noch vor 30 Jahren. Und das ist großteils der Veränderung geschuldet, die durch die Verwendung von sozialen Medien, aber auch
technisch basierte Spiele oder überbordender TV-Konsum, der schon im Kleinkindalter beginnt, entstanden ist. Und anstatt man gegensteuert mit einem nicht-digitalisierten Teil der Bildung – also
echt old-fashioned analog – kommt eine Digitalisierungswelle nach der anderen. Das Hirn ist für Digitalisierung nicht gemacht. Dass Wiesinger beschreibt, dass sie keinen „Zugang“ zu islamischen
Schülern findet: Nun gut. Es gibt viele Lehrer, die zu einer ganzen Reihe von Schülern keinen Zugang finden, ganz ohne Islam.
Lehrer sind auch nur Menschen. Sie werden für den Umgang mit fremder Kultur nicht ausgebildet, nicht im Geringsten. Es reicht auch nicht, „ein bissl was“ über andere Kulturen zu lesen, um sie zu
verstehen. Wie soll man also von Lehrern, die dafür weder inhaltlich noch psychologisch ausgebildet wurden, erwarten, dass sie einen Zugang zu Schülern finden, die aus einem fremden Wertekreis
stammen? Der teilweise offen, teilweise versteckt, teilweise auch gar nicht bei uns gelebt wird?
Und auf der anderen Seite: Woher sollen die Migranten, jene, die sich also integrieren sollen, wissen, welche Werte bei uns die „richtigen“ sind? Aus der Kronen Zeitung vielleicht? Wer teilt sie
ihnen mit? Sie errichten häufig eine Parallel-Arbeitswelt, die viel mit Selbstständigkeit zu tun hat, egal ob als Gemüsehändler oder Handy-Laden, weil der Zugang zur klassischen Arbeitswelt ihnen
häufig aufgrund ihres Namens versperrt bleibt. Sie haben ihre Geschäfte, ihre Viertel, ihre Kirchen. Ja, das ist Ghettobildung und das passiert überall in der Welt, in der eine Bevölkerungsgruppe
im Ausland ansässig wird. So gibt es „deutsche Viertel“ in manchen türkischen oder spanischen Gegenden, mit deutschen Lokalen, deutschen Geschäften, deutschen Vereinen. Man spricht dort deutsch,
man speist deutsch, man liest deutsche Zeitungen. Dasselbe in Grün, aber ein anderer Blickwinkel. Menschen sind so.
Wiesinger hat der Diskussion um Integration und gesellschaftliches Wachstum keinen Gefallen getan, weil sie mit ihrer persönlichen Wahrnehmung Futter für rechtsnationale Politiker und Wähler
liefert, die sich bestätigt sehen. Dabei lässt man außer Acht, dass die Gratwanderung zwischen Toleranz gegenüber anderen Werten – und das ist eine Tatsache, mit der man sich auseinandersetzen
muss, wenn es um Wanderungsbewegungen geht – und den eigenen, meist als ausschließlich positiv beurteilten Werten, alles andere als einfach ist. Ein Lehrer, der selbst nie im Ausland gelebt hat,
kann ohnehin nur bruchstückhaft beurteilen, wie sich das anfühlt: In einem anderen Land, in einer anderen Kultur zu sein und dort auf Schwierigkeiten zu treffen, weil einem die Sozialisierung
fehlt. Man macht Dinge anders, nicht aus bösem Willen, sondern weil man es nicht anders gelernt hat.
Die Schulen, die einen Beitrag leisten „könnten“ zur Aufklärung, die jungen Menschen begreiflich machen können, wie unterschiedliche Werte zustande kommen, wie Werte sich bilden oder verändert
werden können, die aber auch fundiertes Know-how über Kommunikation liefern, die können ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Weil es zu viele Aufgaben gibt, die ohnehin schon erledigt werden
müssen. Die Eltern sind häufig überfordert, es reicht ja, wenn 50 % der Eltern nicht mit ihren Kindern reden oder ihnen ihr Krone-Zeitungs-Niveau angedeihen lassen.
Es bleibt die Frage: Wie kann man unterschiedliche Werte, die durch Zuwanderung nun mal entstehen, so konsolidieren, dass man in einer menschlichen, fröhlichen, positiven Art und Weise
zusammenleben kann? Man könnte Kurz fragen, der war ja Integrations-Minister, aber der wird wie gehabt schweigen oder etwas daherreden davon, dass er ja schließlich die Balkanroute geschlossen
hat. Ist halt wenig vorteilhaft, wenn ein Kanzler grade mal eine Matura als Ausbildung hat. Man könnte die Unterschiede ausradieren und die eigenen Werte zu den allein gültigen erklären, aber wir
wissen: Das wird nicht funktionieren. Deshalb wird auch das Buch von Wiesinger nicht funktionieren, weil es trennt, anstatt zu integrieren, weil es Schuldige sucht und identifiziert, anstatt auf
Unterschiede hinzuweisen und Lösungen anzubieten. Aber Lösungen funktionieren halt immer nur innerhalb der eigenen Fähigkeiten und, nicht zuletzt, innerhalb des eigenen Wollens.
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