Das Schulwesen in Südtirol schneidet in internationalen Vergleichen deutlich besser ab als die österreichische Schule. Wir werfen Blicke hinter die Kulissen.
Von Barbara Gessmann-Wetzinger *
Teil 8
Der Südtiroler Schule auf den Zahn gefühlt – ÖLI-Exkursion an Südtiroler Schulen, die Zweite oder: Inklusion zwischen Theorie und Praxis
Die Ausbildung von Fachkräften wird groß geschrieben.
Schwer behinderte junge Menschen werden von MitarbeiterInnen für Integration begleitet, die mit unseren SchulassistentInnen vergleichbar, aber wesentlich besser ausgebildet sind. Seit einigen
Jahren ist eine vierjährige, intensive Ausbildung samt anschließenden Praktikumsjahren vorgeschrieben. Damit sind die MitarbeiterInnen als Fachkräfte in der Lage, die Lehrpersonen der von ihnen
betreuten Kinder fachlich zu beraten und mitzuhelfen, dass sowohl die individuellen Bildungspläne den behinderten Kindern gerecht werden als auch der Unterricht. Ihre Bezahlung liegt deutlich
unter jener der LehrerInnen, auch weil es keine Vollzeitstellen gibt. Die Zahl der wöchent- lichen Unterrichtsstunden eines Kindes reicht dafür nicht aus.
Interessant verlief das Gespräch mit zwei OberschülerInnen, die Kompensations- und Erlassmaßnahmen nützen.
Der junge Mann leidet an schwerer Dyskalkulie und hat in der Hälfte der Mathematikstunden eine zusätzliche Lehrerin an seiner Seite. Selbst bei Schularbeiten ist sie dabei und darf ihm beim
Bewältigen der für ihn vereinfachten Aufgabenstellungen weiterhelfen. Der Schüler erzählte von seiner Schwester, die früher gleichartige Probleme in Mathematik hatte, sie im Laufe der Jahre dank
Unterstützung abschütteln konnte und nun in 5. Klasse der Oberschule zu den Besten gehöre.
Das Mädchen hat eine schwere Rechtschreibschwäche. Für sie ist vereinbart, dass die Rechtschreibung einfach nicht gewertet wird. Das reicht, sie kommt in der Oberschule gut voran. Beide jungen
Leute schilderten den Übertritt von der Mittel- in die Oberschule als gut unterstützt und signalisierten, dass ihnen die Oberschule sehr gut gefiele.Daran, dass sie sich dort als vollwertige
SchülerInnen erleben, ließen sie keine Zweifel.
Ob das das Geheimnis des Südti- roler Schulmodells ist?
Die Wertschätzung eines jeden Kindes, die allgemeine Akzeptanz des Andersseins und das selbstverständliche Darauf-reagieren-Können der Schule sowie das Bekenntnis zum selbstverständlichen
Miteinander aller waren spürbar. Woher kommt das? Weil alle Kinder ihre ersten acht Schuljahre gemeinsam verbringen? Weil das Bewältigen von vorgegebenen Zielen auf vielen, individuellen Wegen
möglich ist? Weil Beeinträchtigungen von Kindern nicht von vornherein dazu führen, dass ihnen das Erreichen der Ziele nicht zugetraut und deshalb unmöglich gemacht wird? Nach dem Erstgespräch mit
den Lehrpersonen, in dem ihre Probleme offen legten, waren wir ernüchtert gewesen. Unser Traum vom Südtiroler Schulmodell schien umsonst geträumt. Die Begegnungen und Beobachtungen in den
Klassen, das Erleben, wie Kinder mit ihren beeinträchtigten MitschülerInnen umgehen, die Erzählungen der OberschülerInnen, die bei uns in keiner weiterführenden Schule säßen, ließen die Träume
wieder erstehen. In Südtirol läuft Schule anders. Das beeindruckt nachhaltig. Die kürzlich präsentierte OECD-Studie “Bildung auf einen Blick“ bestätigte im Ländervergleich: Italien liegt, was die
Chancengerechtigkeit für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern anlangt, an der Spitze.
Danke an Sibylle Kainz und Helene Trafoier von der MS Mals sowie an Harald Müller von der TLI, ohne die unsere Exkursion nicht zustande gekommen wäre.
Siehe auch: „Die Bildungslandschaft in Südtirol – Teil 7“
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