Die Welt der Bücher ist eine vielseitige und faszinierende: Das Schreiben eines Buches, das Lesen eines Buches, das Abbilden einer Person, die liest oder auch nur ein Buch in Händen
hält.
Im vorliegenden Buch liegt der Fokus auf Frauen: Wo lesen sie beobachtbar für alle oder heimlich versteckt? Was teilen sie durch ihre Platzwahl, ihren Gesichtsausdruck beim Lesen mit? Wie werden
sie von anderen gesehen, interpretiert oder auch nur imaginiert?
Dörthe Binkert (sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Politik) hat eine Gemäldeauswahl getroffen und gliedert diese in 9 Kapiteln mit den Überschriften: Kleine Fluchten / Im Einklang mit
der Welt / Ein Buch passt in die meisten Taschen / Und vorne das rauschende plätschernde Meer / Unter Menschen und doch für sich / Neugier auf das Unbekannte / Wer bin ich und wer will ich werden
/ Frauenpower / Mein Buch und ich.
Das Vorwort schrieb Elke Heidenreich. Hier zeigt ein Foto sie selbst beim Lesen und ein weiteres
zeigt Simone de Beauvoir. Heidenreich fasst un/mögliche Situationen des Lesens ergänzt durch zwei Zitaten von Männern und einem einer Frau zusammen. Gendergerechte Sprache ist ihr leider auch
nicht wichtig.
Wenn das Buch im Titel Frauen hat, so liegt es auf der Hand, darauf zu achten, wie sehr /wie wenig auf Frauen in allen anderen Bezügen auch beachtet werden!
Die Abbildungen, auf die sich Dörthe Binkert Text bezieht zeigen Gemälde von François Boucher, Mary Cassatt, Lovis Corinth, Vincent van Gogh, Ernst Ludwig Kirchner, Carl Larsson, August Macke,
Edouard Manet, Henri Matisse, Berthe Morisot, John Singer Sargent, Joaquin Sorolla, Suzanne Valadon u.a.m.. Insgesamt sind 73 Gemälde von Malern und 14 von Malerinnen. Schade, dass der männliche
Blick dominiert.
Dörthe Binkerts Texte sind beobachtend, assoziierend und bringen auch ein paar Informationen zu den gemalten und malenden Personen. Sprachlich ist sie sensibel, denn sie nennt „Malerinnen und
Maler“ und formuliert „er oder sie“. Dass sie jedoch eine Frau vom Schlaf „übermannt“ sein lässt, ist ein echter Stolperstein.
Manches irritiert in all der entspannten, entschleunigten Lesewelt denn doch: Sie nennt Liotard als Beispiel für ein „erfülltes, abwechslungsreiches und erfolgreiche Leben“ (S 144), von dem
andere nur träumen können. Warum nimmt sie keine erfolgreiche Malerin? Warum sollte es nur Liotard gegeben sein, ein solches zu führen?
Auf die von ihr gestellte Frage (S159) nach der richtigen Entscheidung zitiert sie Dante – warum keine Frau? Leider liegt im gesamten Text keine „Blaustrümpfigkeit“ vor – außer an der Stelle
(S175) wo sie m. M. in positiven Bezug gesetzt werden hätte sollen.
Was immer Frauen lesen, nie jedoch kommt Dörthe Binkert in den Sinn, es könnte ein politischer Text sein. Ein genaueres Lektorat hätte diesem Buch gutgetan!
Es ist ein schönes Geschenkbuch, das schwergewichtig in der Hand liegt. Das rote Lesezeichenband ist praktisch. Es ist ein Buch auch für sich selbst, das an herbstlichen Tagen beschauliche
Stimmung aufkommen lässt und den Alltag vergessen lässt.
In Summe sind in diesem Frauen-Buch Männer zu dominant. Mehr Frauengeschichte bzw. Nennung von Ausnahmefrauen, die aufbegehrten, eigenmächtig waren und die Welt veränderten, hätte dem Buch
gutgetan. Ich denke, potentielle Leserinnen wären nicht erschrocken, sondern hätten solch inspirierende Impulse als zeitgemäß aufgefasst und begrüßt.
Dörthe Binkert: Wo Frauen ihre Bücher lesen
Mit einem Vorwort von Elke Heidenreich
208 Seiten, gebunden,
mit farbigen Ill. Abbildungen
Thiele Verlag 2019
€ 25,70
ISBN: 978-3-85179-435-9
Sept. 2019
Rezension: Ilse M. Seifried
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