Rezension von Ilse M. Seifried


Konrad Pesendorfer, Florian Klenk: Zahlen, bitte! Was Sie schon immer über Österreich wissen wollten, Falter Verlag 2018, 120 Seiten, € 24,90

Was seit dem Spätsommer 2016 über Wochen hinweg in der Falter-Zeitung erschien,  liegt nun gesammelt und handlich in Rosa gehalten in Buchform vor: In 50 Kapiteln werden Aspekte Österreichs
(von Schulkindern über Zwetschkenbäume bis zum Tod) in Zahlen und verständlichem Dialog-Text präsentiert.

Konrad Pesendorfer von Statistik Austria und Florian Klenk vom FALTER versachlichen Themen (Kriminalität, Migrationshintergrund, Lesekompetenz,..), die von manchen PolitikerInnen und manchen
Medien emotionalisiert wurden/werden. Wohltuende objektive Information in Zeiten von Fake-News. Nach den Richtlinien der EU-Statistikverordnung bieten die Zahlen eine seriöse
Informationsquelle.

Was beim Lesen der Kapitelüberschriften auffällt, ist der Aspekt Gender.
Es gibt
* Sachkapitel: Wie viel Geld geben wir eigentlich für Forschung aus und wie wird es investiert?
* Frauenthemen: Wie geht es Frauen in Österreich heute und wie war das vor 20 Jahren?
* Männerthemen: Warum sterben so viele Männer im Straßenverkehr?
* Frauen sprachlich exkludierende Themen: Wie lange muss ein Österreicher arbeiten, damit er sich ein Auto leisten kann?

Ich greife dieses exemplarisch auf. Es ist auf Seite 26 zu finden.
„Wie lange muss ein Österreicher arbeiten, damit er sich ein Auto leisten kann?“
Das bezieht sich also auf Männer. Im Kapiteltext wird differenziert, wofür Männer und Frauen ihr Geld ausgeben. Auch interessant. Die Frage selbst bleibt aber unbeantwortet!
So muss jede/r die Rechnung selbst anstellen indem weiter auf Seite 32 geblättert wird, wo zu lesen und in der Tabelle zu sehen ist: Eine Arbeiterin hat ein Bruttojahreseinkommen von
durchschnittlich € 11.000,-, ein Arbeiter € 25.600,-. Kostet ein Auto € 10.000,- so bedeutet das für eine Arbeiterin, dass sie mehr als das Doppelte arbeiten muss im Vergleich zu einem Mann!


Als Lehrerin interessiert mich das Kapitel:
Warum sind Kindergarten-Kinder später in der Schule in Mathematik so erfolgreich?
Die neue OECD-Studie zeigt: Wer früher in den Kindergarten geht, hat bessere Noten. Die Tendenz in Österreich ist positiv: Heute liegt der Betreuungsanteil der 3-Jährigen bei 73%, vor 20 Jahren
lag dieser bei 30%.
Pesendorfer meint im Gespräch, dass „es eine Diskussion braucht über die Frage, wie man bereits im frühen Alter die Lernlust unsrer Kinder systematisch fördert.“ Diese Frage erstaunt mich, denn
sie steht in keinem Zusammenhang mit den Zahlen und von KindergartenpädagogInnen weiß ich, die Lernlust der Kinder ist kein Problem sondern das Lernumfeld zu Hause – was sich auch bei
Schulkindern zeigt.
Mit Pesendorfer stimme ich weiters nicht überein, dass es eine pädagogische Professionalisierung braucht. Die Ausbildung der KindergartenpädagogInnen hat sich in den letzten Jahren
professionalisiert! Meiner Meinung nach braucht es bessere Rahmenbedingungen im Kindergarten: Kleinere Gruppen, mehr Bewegungsräume im Freien und intensivere Elternarbeit mit sozialarbeiterischer
Unterstützung sowie bessere Bezahlung!
Das „Warum“ wird nicht beantwortet, immerhin ist aber das Fakt ein gutes Argument gegen jene, die ein konservatives Frauenstereotyp erhalten wollen.

Das Thema: Kann wirklich jeder Sechste in Österreich nur schlecht lesen?
passt auch zur Schule. Hier werden aber Gründe, warum die Lesekompetenz besser oder schlechter ist, nicht angegeben sondern der Bezug zur Ausbildung. Die Lesekompetenz bei Maximal
Pflichtschulabschluss liegt bei 31% bei AHS und BHS bei 3%. Aha. Leider wird nicht in Frauen und Männer differenziert, was ich sehr interessant gefunden hätte und mir daher fehlt.


Wie viele Schulkinder hat Österreich und wieviel von ihnen machen Matura?
Es gibt in Österreich 1,1 Millionen SchülerInnen, wobei es um ca. 30.000 mehr Schüler gibt (Da würde ich gerne wissen, warum das so ist! Aufgrund der Migration?) die in eine der ca. 6000 Schulen
gehen. Davon sind 88% öffentliche Schulen wovon 50% Volksschulen sind. Im Sekundarbereich ist die BHS die beliebteste Schulform für 133.000 SchülerInnen. In die AHS gehen 91.000 SchülerInnen.
Matura machten im Schuljahr 2014/15 der 18- bis 19-Jährigen in Österreich 43%. Der Anteil der Burschen liegt bei 36, jener der Mädchen bei 64%.
Es gibt eine Statistik die zeigt, wie viele SchülerInnen den Umstieg von der Hauptschule in eine AHS im 1. und 2. Schuljahr schaffen, nicht aber, wie viele von ihnen schlussendlich dann
tatsächlich maturieren. Schade.

 

Viele Seiten weiter wird das Thema Schule wieder aufgenommen mit der Frage:
Wie viele Schulen haben wir in Österreich und warum gibt es weniger Volksschüler?
Die erste Frage wurde ja bereits beantwortet und wiederholt sich an dieser Stelle. Zur zweiten Fragestellung lautet die Antwort: Aufgrund der sinkenden Geburtenrate sank die Zahl der
Volksschulkinder um 110 000 (= 9%) in den letzten 10 Jahren. In den letzten beiden Jahren ist die Geburtenzahl aufgrund der Zuwanderung wieder etwas gestiegen.
Fakten wie „Von allen Volksschulkindern haben 29% deren Alltagsumgangssprache nicht Deutsch ist.“, passt nicht wirklich zu dieser Frage und gehört eigentlich in ein anderes Kapitel.


Diese vier Kapitel beziehen sich also konkret auf die Schule bzw. auf Schülerinnen und Schüler.
Zum Abschluss beziehe ich mich auf das Thema „Beziehung“ (ob in diesem Bereich LehrerInnen sich von allen anderen Berufsgruppen unterscheiden, bleibt offen):
Wann heiraten wir am liebsten und wie lange dauert es bis zur Scheidung?
Die Anzahl der Eheschließungen steigt sanft an, der Durchschnitt liegt bei 5 Ehen pro 1000 EinwohnerInnen. 2016 verdrängten die Monate Juni, Juli, August den Mai auf Platz vier der beliebtesten
Zeiträume.
Das mittlere Alter der Frau liegt bei 30, bei Männern bei 33 Jahren bei der Erstehe. (In den 1970iger Jahren waren die Frauen 22 und die Männer 24 Jahre alt.)
Die Scheidungsrate liegt bei 42% (in den 1950-igern lag die Rate bei 14%, 2006 wurde der Höhepunkt mit 50% erreicht) und wird im Mittel nach 11 Jahren geschieden. 13% der Ehen werden nicht
einvernehmlich geschieden.
Eingetragenen Partnerschaften wurden 2016 in 475 Fällen begründet, was eine Steigerung von 12% gegenüber dem Vorjahr ist.
Altersextreme gibt es auch. Im Jahr 2016 gaben ein 83-Jähriger und eine 84-Jährige einander das Ja-Wort, sowie eine 23-Jährige und ein 78-Jähriger weiters eine 62-Jährige und ein
29-Jähriger.

Meine Zusammenfassung: Ich empfehle das Buch zur Lektüre, da es viele interessante Fakten bietet, Impulse gibt, weiterzudenken, Verknüpfungen herzustellen, nachzufragen, zu diskutieren!
Doch bedaure ich sehr, dass Gender nicht konsequent mitgedacht und erfragt wurde!

Ilse M. Seifried